Betreuungsunterhalt:
Erwerbstätigkeit gemäss Schulstufenmodell – gerichtliche Prüfungspflichten im Einzelfall

Das Bundesgericht legt Richtlinien fest, ab wann und in welchem Umfang der hauptsächlich die Kinder betreuende Elternteil mit Blick auf die Unterhaltspflicht des anderen Elternteils einer Erwerbstätigkeit nachzugehen hat. Im Scheidungs- oder Trennungsfall kommt nach einer Übergangsphase oder bei fehlender Vereinbarung der Eltern über die Art der Betreuung das Schulstufenmodell zu Anwendung. Der hauptbetreuende Elternteil muss demnach ab der obligatorischen Einschulung des jüngsten Kindes grundsätzlich zu 50 % eine Erwerbsarbeit ausüben, ab dessen Eintritt in die Sekundarstufe zu 80 % und ab seinem vollendeten 16. Lebensjahr zu 100 %. Davon kann im Einzelfall aus zureichenden Gründen abgewichen werden.


Per 1. Januar 2017 wurde das Kindesunterhaltsrecht revidiert. Nebst den direkten Kosten wie diejenigen für Nahrung, Kleidung und Wohnen des Kindes ist neu auch "Betreuungsunterhalt" geschuldet. Dabei geht es um indirekte Kosten, welche entstehen, wenn ein Elternteil die Kinder selbst betreut und während dieser Zeit keiner Erwerbstätigkeit nachgehen kann. Die finanziellen Folgen aus dem Zeitaufwand für die Kinderbetreuung sollen auf diese Weise unabhängig vom Zivilstand von beiden Elternteilen gemeinsam getragen werden. Zuvor wurden Betreuungsleistungen einzig bei verheirateten Eltern über den ehelichen oder nachehelichen Unterhalt abgegolten. Dabei kam die sogenannte 10/16-Regel zur Anwendung. Danach musste der Elternteil, dem bei einer Trennung oder Scheidung die Kinder in Obhut gegeben wurden und der bislang keiner Erwerbstätigkeit nachging, ab dem 10. Lebensjahr des jüngsten Kindes ein Arbeitspensum von 50 % aufnehmen und eine Vollzeitstelle ab dessen 16. Lebensjahr.


Das Bundesgericht kommt in seinem Entscheid zum Schluss, dass diese Regel für den Betreuungsunterhalt nicht sachgerecht ist und auch nicht mehr der heutigen gesellschaftlichen Realität entspricht. Bezüglich der stattdessen anzuwendenden Richtlinien erwägt das Bundesgericht, dass sich jeder Entscheid mit unmittelbaren Auswirkungen auf ein Kind an dessen Wohl messen lassen muss. Diesbezüglich hat der Gesetzgeber die Eigenbetreuung durch die Eltern und die Fremdbetreuung – zum Beispiel in einer Kinderkrippe – als gleichwertig bezeichnet. In diesem Sinne gibt es keine verallgemeinerungsfähige Vermutung zugunsten des einen oder des anderen Betreuungsmodells. Grundsätzlich entscheiden die Eltern darüber, welche Betreuungsform für ihr Kind geeignet ist und in welchem zeitlichen Umfang die Eigen- oder Fremdbetreuung erfolgen soll. Weil stabile Verhältnisse dem Kindeswohl dienlich sind, ist bei fehlender Einigung der Eltern im Trennungs- oder Scheidungsfall jedenfalls in einer ersten Phase das von diesen vor der Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes vereinbarte, beziehungsweise praktizierte Betreuungsmodell fortzuführen. Für die weitere Zeit, aber auch wenn keine elterliche Vereinbarung über das Betreuungsmodell besteht, ist das Schulstufenmodell anzuwenden. Demnach soll der hauptbetreuende Elternteil ab der obligatorischen Einschulung des jüngsten Kindes grundsätzlich zu 50 % einer Erwerbsarbeit nachgehen, zu 80 % ab seinem Eintritt in die Sekundarstufe und zu 100 % ab vollendetem 16. Lebensjahr. Dies gilt künftig auch beim ehelichen oder nachehelichen Unterhalt zwischen verheirateten oder geschiedenen Eltern. Für die Anwendung des Schulstufenmodells spricht, dass der obhutsberechtigte Elternteil mit der Einschulung des Kindes während der betreffenden Zeit von der Betreuung entlastet wird. Die schulische Betreuung dehnt sich sodann im Verlauf der Jahre aus. Dies, sowie die allgemeine Entwicklung des Kindes lassen eine Erweiterung der zumutbaren Erwerbsquote nach Schulstufen des Kindes als angezeigt erscheinen. Dem Charakter einer Richtlinie entsprechend, kann im Einzelfall aus zureichenden Gründen vom Schulstufenmodell abgewichen werden. Darüber hinaus, namentlich aber auch für Kinder im Vorschulalter, muss der Richter prüfen, ob im konkreten Einzelfall vor- oder ausserschulische Betreuungsangebote bestehen, welche angemessen sind und von der persönlichen Betreuung entlasten können. Entsprechende Angebote sind insbesondere dann näher zu prüfen, wenn die finanziellen Mittel knapp sind und eine Ausdehnung der Erwerbsarbeit ökonomisch sinnvoll erscheint.

 

Urteil vom 21. September 2018 (5A_384/2018)

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